Denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist.
Römer 3,23.24

In der Bibel wird von mehreren Personen gesagt, dass sie „Gnade“ bei Gott fanden. Was ist Gnade? Gnade ist die unverdiente Gunst Gottes, die Er Menschen zuwendet. Vielleicht hilft ein Vergleich: Nehmen wir an, ein Straftäter wurde von einem Gericht rechtmäßig zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Dann ermöglicht ihm die deutsche Rechtsprechung, ein Gnadengesuch zu stellen, über das in oberster Instanz vom Bundespräsidenten entschieden wird. Der Präsident hat die Befugnis, ein vorhandenes Urteil aufzuheben und den Verurteilten zu begnadigen.

Gnade setzt voraus, dass wir uns vor Gott schuldig gemacht haben und deshalb unter seinem gerechten Urteil stehen. Es fällt uns nicht leicht, dieses Urteil über unser Leben zu akzeptieren. Ähnlich ist es bei der Begnadigung in der Justiz, denn sie setzt Reue über die begangene Straftat voraus. Aus nachvollziehbaren Gründen führen jedoch längst nicht alle Gnadengesuche zu einer Begnadigung.

Anders bei Gott: Bei Ihm gibt es gewissermaßen eine Gnadengarantie. Jeder, der seine Schuld vor Gott einsieht, vor Ihm bekennt und an Jesus Christus glaubt, bekommt völlige Vergebung. Spätestens hier hört der Vergleich mit der Begnadigung in der Rechtsprechung auf. Denn die Bibel lehrt, dass der begnadigte Sünder von Gott gerecht gesprochen (gerechtfertigt) wird. Weil Gott das gerechte Gericht Gottes über die Sünde an seinem Sohn Jesus Christus vollzogen hat, behandelt Er den begnadigten Sünder nun so, als ob dieser nie gesündigt hätte!

Gnade bei Gott finden bedeutet, in eine Lebensverbindung zu Ihm zu kommen, die mir aufgrund meiner Position als Sünder nicht zusteht, auf die ich kein Recht habe. Wie unvorstellbar groß ist die Gnade Gottes! Wer sie erfahren hat, möchte nie mehr ohne sie leben.

 

Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, nachdem ihr eine kurze Zeit gelitten habt, er selbst wird euch vollkommen machen, befestigen, kräftigen, gründen.
1. Petrus 5,10

„Das halte ich nicht mehr länger aus!“ - „Womit soll ich bei den vielen Aufgaben bloß anfangen?“ - „Wie soll das weitergehen?“ - Wie oft türmen sich bei uns Fragen auf, die uns überfordern, auf die wir keine Antwort wissen und die uns mit einem Gefühl der Hilfslosigkeit zurücklassen. Solche Er­fahrungen werden auch in der Bibel geschildert. Dort begegnen wir Frauen und Männern, die vor großen Herausforderungen standen.

Denken wir zum Beispiel an Noah, der ein gerechter Mann war und sich von seinen verdorbenen und gewalttätigen Zeitgenossen deutlich unterschied. Als er von Gott den Auftrag bekam, ein großes Schiff zu bauen, wurde er von den anderen belächelt. Und wie begegnete Gott ihm? „Noah aber fand Gnade in den Augen des Herrn“ (1. Mose 6,8). Diese unverdiente Gunst Gottes ist nicht nur notwendig, wenn es um unser ewiges Heil geht, sondern wir brauchen sie auch im Alltag. Es ist die Gnade Gottes, die uns zeigt, wie wir ein Leben zu seiner Ehre führen können - trotz aller Anfechtung, die uns schnell entmutigen kann.

Diese Gnade Gottes erfuhr auch Mose. Er hatte von Gott den Auftrag erhalten, beim ägyp­tischen Pharao Freiheit für die Israeliten zu erwirken, fühlte sich aber völlig überfordert. Mose bat Gott: „Wenn ich denn Gnade gefunden habe in deinen Augen, so lass mich doch deinen Weg wissen, dass ich dich erkenne, damit ich Gnade finde in deinen Augen!“ - Die Antwort Gottes ist bewegend: „Auch dies, was du gesagt hast, werde ich tun; denn du hast Gnade gefunden in meinen Augen, und ich kenne dich mit Namen“ (2. Mose 33,13.17).

 

Gideon sprach zu Gott: Wenn ich nun Gnade gefunden habe in deinen Augen, so gib mir ein Zeichen, dass du es bist, der mit mir redet.
Richter 6,17

Manchmal gibt es Situationen, die uns viel abverlangen, zum Beispiel wenn wir an einer Weg­gabelung stehen und wählen müssen. Je mehr Wege von der „Lebenskreuzung“ abzweigen, desto leichter verlieren wir die Orientierung.

Der Richter Gideon appelliert in einer schwie­rigen Entscheidung an die Gnade Gottes und bittet Ihn um ein klares Zeichen. Nun haben gläubige Christen heute andere Hilfsmittel zur Verfügung als Gideon, um Gottes Willen zu erkennen. Das ist erstens das Gebet, mit dem wir jederzeit die Möglichkeit haben, um Gottes Führung zu bitten. Nicht nur die bewahrende, sondern auch die führende Gnade Gottes will erbeten werden.

Als zweites Hilfsmittel steht uns die Bibel, das Wort Gottes, zur Verfügung, durch das Gott uns in Entscheidungen führt, wenn wir aufrichtig und gründlich nach seinem Willen suchen: „Dein Wort ist Leuchte meinem Fuß und Licht für meinen Pfad“ (Psalm 119,105).

Außerdem kann jeder Christ darauf vertrauen, dass er vom Heiligen Geist geführt wird, der in ihm wohnt (1. Korinther 6,19; Epheser 4,30). Der Geist Gottes führt stets so, dass Er dem geschriebenen Wort Gottes, der Bibel, nicht widerspricht. Daher ist es so wichtig, die Bibel betend zu lesen, um Gottes Führung zu erfahren. Tun wir das doch: Beten wir intensiver und denken wir über Gottes Wort nach, um seine Gnade zu finden. Und vergessen wir nicht, Gott von Herzen zu danken, wenn wir seine gnädige Führung erleben.

„Lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe“ (Hebräer 4,16). 

 

Da fiel Ruth auf ihr Angesicht und beugte sich zur Erde nieder und sprach zu Boas: Warum habe ich Gnade gefunden in deinen Augen, dass du mich beachtest, da ich doch eine Ausländerin bin?
Ruth 2,10

Unverdient wendet sich Gott Menschen in Liebe zu und lässt sie seine Gnade finden! Noah wird von Gott in der weltweiten Sintflut bewahrt. Mose führt durch Gottes Gnade ein Millionenvolk aus Ägypten durch die Wüste, während der Richter Gideon den Mut zu einem militärischen Befreiungsschlag bekommt.

Im heutigen Tagesvers begegnet uns eine wei­tere Person, die Gottes Gnade fand. Es handelt sich um eine Frau namens Ruth. Sie stammte aus Moab und kam mit ihrer israelitischen Schwie­­germutter Noomi, die zeitweise auch in Moab gelebt hatte, nach Bethlehem. Ruth hatte ihr ganzes bisheriges Leben hinter sich gelassen: ihren Mann, der gestorben war, ihre eigene Familie, ihre Heimat, ihre Kultur. Dabei wird deutlich, dass die Triebfeder zur größten Veränderung ihres Lebens die Sehnsucht nach Gott war. Sicher spielte auch die Liebe zu Noomi eine Rolle, denn Ruth wollte sie nicht im Stich lassen.

Veränderungen kennen auch wir: Ortswechsel aufgrund von Ausbildung oder Beruf, familiäre Veränderungen, die damit zu tun haben, dass wir älter werden, und die uns erkennen lassen, wie sehr wir die Hilfe Gottes benötigen.

Der erste Israelit, der sich um Ruth kümmert, als sie in der Fremde angekommen ist, ist ein reicher Verwandter Noomis mit Namen Boas. Er sorgt für sie und lässt sie schon bald eine neue Heimat in Bethlehem finden. Verdient hat sie das nicht. Denn gerade weil sie aus einem befeindeten Land kommt, würde sie eigentlich keine Aufent­haltsgenehmigung in Israel bekommen. Aber sie findet Gnade in den Augen von Boas, der sie reich beschenkt und später sogar heiratet. Und die Krönung ist, dass Ruth auf diese Weise eine Vorfahrin des verheißenen Messias Jesus Christus wird.

 

... bis zu den Tagen Davids, der vor Gott Gnade fand.
Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Güte! Nach der Größe deiner Erbarmungen tilge meine Übertretungen!
Apostelgeschichte 7,45.46Psalm 51,3

Gottes Gnade finden wir auch - und gerade - in Niederlagen. Dies wird an der Geschichte von König David deutlich, den Gott dazu ausersehen hat, das Volk Israel zu regieren. David erlangt bereits als junger Mann Berühmtheit durch seinen Heldenmut im Kampf gegen den Riesen Goliath. Aber der Weg zum Königsthron ist für ihn lang und steinig, weil der amtierende König Saul ihm jahrelang nachstellt.

Später führt David seine Armee in vielen Schlachten mutig an. Doch als wieder einmal ein Feldzug ansteht, verlässt er sich auf seinen be­währten General Joab und bleibt selbst in Jeru­salem. Während Joab an der Front kämpft und siegt, erleidet David die schwerste moralische Niederlage: Vom Dach seines Palastes beobach­tet er die Frau eines seiner Soldaten beim Baden, lässt sie zu sich holen, schläft mit ihr und versucht anschließend vergeblich, seinen Ehebruch zu vertuschen - bis er zuletzt den betrogenen Ehe­mann in den Tod schickt.

Der König erlebt, was der Jakobusbrief mit den Worten beschreibt: „Jeder aber wird versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde fortgezogen und gelockt wird. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde“ (Jakobus 1,14.15). David nimmt einem glücklichen Ehemann das Leben und damit seiner Armee einen tapferen Soldaten, einer Frau ihre sexuelle Reinheit und ihren Ehemann und sich selbst die Freude der ungetrübten Gemeinschaft mit seinem Gott. Wie tragisch! Aber Gott bemüht sich, David wieder zurechtzubringen. - Was für eine Gnade! Er schickt den Propheten Nathan zu ihm, um ihm seine Schuld bewusst zu machen. Da erkennt der König seine Schuld, bereut und bekennt vor Gott und erfährt völlige Vergebung. 

 

Gott hat zu mir gesagt: Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht.
2. Korinther 12,9

Gottes Güte und seine Gnade sind allumfassend. Kinder Gottes können sie in jeder Lebenslage erleben. Dennoch erfahren viele Gläubige persönliches Leid, kennen chronische Krankheiten, Behinderungen und sonstige Einschränkungen.

So erging es auch dem Apostel Paulus, dem ersten Missionar unter den Nichtjuden, der die Botschaft des Evangeliums von Jesus Christus zunächst in der heutigen Türkei und später bis nach Europa verbreitete. Liegt nicht der Gedanke nahe, dass jemand, der wie Paulus mit solcher Hingabe Gott dient, besonders gesegnet ist und deshalb vor Hindernissen und Einschränkungen verschont bleiben müsse, damit er seine Aufgabe gut durchführen kann? Doch der Apostel hatte einen „Dorn im Fleisch“, der ihm erheblich zu schaffen machte. Um welches Leiden es sich dabei handelte, lässt sich nicht genau sagen. Es muss ein schmerzhaftes körperliches Leiden ge­we­sen sein, dass ihn in seiner Tätigkeit als Missio­nar stark beeinträchtigte. Fest steht jedenfalls, dass Paulus so sehr darunter litt, dass er dreimal zu Gott flehte, dass Er ihm Linderung oder Heilung schenken möge (s. 2. Korinther 12,8).

Auf die ersten zwei Gebete antwortete Gott nicht. Kennen wir das? Wir beten zu Gott, doch Er hüllt sich in Schweigen. Dann ist es gut, wenn wir geduldig warten und an seinen guten Absichten mit uns festhalten.

Das dritte Gebet wurde beantwortet - aber ganz anders, als Paulus sich das vorgestellt hatte. Er war der Meinung, Gott müsse ihm diesen „Dorn“ wegnehmen, um seiner Aufgabe als Missio­nar weiter nachkommen zu können. Doch Gottes Antwort lautete: „Meine Gnade genügt dir.“ Mit anderen Worten: Auch wenn du meinst, du könntest mir so nicht mehr dienen - ich werde dir helfen, dir beistehen und dich erleben lassen, wie groß meine Kraft in deiner Schwachheit ist.

aus dem Kalender "Die gute Saat" 2023 - 09. - 14.10.2023